Dienstag, 23. Februar 2016
Das Rilke-Projekt 10.02.2016
"Ist es möglich, daß man
noch nichts Wirkliches und
Wichtiges gesehen, erkannt und
gesagt hat?
Ist es möglich, daß man
Jahrtausende Zeit gehabt hat,
zu schauen, nachzudenken und
aufzuzeichnen und daß man
die Jahrtausende hat vergehen
lassen wie eine Schulpause,
in der man sein Butterbrot ißt
und einen Apfel?
Ja, es ist möglich."

Je länger ich Menschen beim Telephonieren im öffentlichen Raum zuhöre, desto mehr erschrecke ich über die pure Menge an Worten, die produziert werden. Und über das Nichts, das darin enthalten.
Und die, die gerade nicht telephonieren, starren auf ihre Smartphones, als erwarteten sie von dort ihre persönliche Rettung. Spätestens, wenn man mit einem dieser Besessenen auf der Straße zusammenstößt, weil auch hier ein Hochsehen nicht möglich zu sein scheint, erfährt man schmerzhaft, daß hier in verschiedenen Wirklichkeiten gelebt wird.
Mir fällt ein Photo ein, das vor einigen Wochen im weltweiten Netz kursierte. Ich glaube, daß es einen Preis gewonnen hat. Auf dem Photo sieht man einen jungen Mann an Bord einer Yacht, der auf sein Handy starrt, während unmittelbar neben ihm ein riesiger Wal aus dem Wasser auftaucht.
Ja, es ist möglich.
Und es ist traurig.

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Dienstag, 16. Februar 2016
Das Rilke-Projekt 30.01.2016
"Ich bekenne, daß ich das
Leben für ein Ding von der
unantastbarsten Köstlichkeit halte
und daß die Verknotung so vieler
Verhängnisse und Entsetzlichkeiten
mich nicht irre machen
kann an der Fülle und Güte und
Zugeneigtheit des Daseins."

Genau diese Haltung versuche in meiner Rubrik 'Mare Serenitatis' zu entwickeln.

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Mittwoch, 3. Februar 2016
Das Rilke-Projekt 16.01.2016
"Ich kreise um Gott,
um den uralten Turm,
und ich kreise
jahrtausendelang;
und ich weiß noch nicht:
bin ich ein Falke,
ein Sturm
oder ein großer Gesang."

Ich wäre sososo gern ein großer Gesang.

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Freitag, 29. Januar 2016
Das Rilke-Projekt 12.01.2016
"Ich möchte Sie bitten, Geduld
zu haben gegen alles Ungelöste in
Ihrem Herzen und zu versuchen,
die Fragen selbst liebzuhaben wie
verschlossene Stuben und wie
Bücher, die in einer sehr fremden
Sprache geschrieben sind."

Diese Zeilen folgen im Original (in den 'Briefen an einen jungen Dichter') direkt im Anschluß an die in dem Eintrag vom 10.01.2016 zitierten. Als ich die Idee für mein Rilke-Projekt entwickelte, hatte ich völlig vergessen, wie wichtig diese Haltung für meine schriftstellerische Arbeit geworden ist. Ich habe alle meine ungelösten Fragen aufgeschrieben und sie wie Wegweiser benutzt. Wann immer ein Weg eine Antwort auf eine dieser Fragen zu versprechen schien, bin ich ihm gefolgt.

Das Zitat geht folgendermaßen weiter:
"Forschen Sie jetzt nicht nach
den Antworten, die Ihnen
nicht gegeben werden können,
weil Sie sie nicht leben könnten.
Und es handelt sich darum, alles
zu leben. Leben Sie jetzt die
Fragen. Vielleicht leben Sie dann
allmählich, ohne es zu merken,
eines fernen Tages in die Antwort
hinein."

Erst jetzt beim Wiederlesen fällt mir auf, daß die von Rilke vorgeschlagene Methode auch eine Form des 'Ruminare' darstellt - das Herumkauen auf den Grundfragen der eigenen Existenz.

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Dienstag, 26. Januar 2016
Das Rilke-Projekt 10.01.2016
"Wenn Sie sich an die Natur
halten, an das Einfache in ihr,
an das Kleine, das kaum einer
sieht, und das so unversehens
zum Großen und
Unermeßlichen werden kann; [...]"

Diese Zeilen kann ich fast auswendig, weil ich sie monatelang immer und immer wieder gelesen und über sie nachgedacht habe.
Sie stammen aus Rilkes 'Briefe an einen jungen Dichter', und ich dachte lange, daß aus mir vielleichtmöglicherweisehoffentlich eine "richtige Dichterin" werden könnte, wenn ich den Sinn dieser Rilke-Weisung verstünde.

Das Zitat geht folgendermaßen weiter:
"[...] wenn Sie diese Liebe haben
zu dem Geringen und ganz schlicht
als ein Dienender das Vertrauen
dessen zu gewinnen suchen, was
arm scheint: dann wird Ihnen
alles leichter, einheitlicher und
irgendwie versöhnender werden,
nicht im Verstande vielleicht, der
staunend zurückbleibt, aber in
Ihrem innersten Bewußtsein,
Wachsen und Wissen."

Und tatsächlich verstand ich nach Jahren des Suchens, daß das Kleine und Unscheinbare mein Weg ist. Rilke hat mir auf diese Weise den entscheidenden Hinweis für die Entwicklung meiner Poetik - das verstehe ich, wenn er von "einheitlicher" spricht - geschenkt.

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Montag, 25. Januar 2016
Das Rilke-Projekt 08.01.2016
"Dem Namenlosen
fühl ich mich
vertrauter:
Mit meinen Sinnen, wie
mit Vögeln, reiche
ich in die windigen Himmel aus
der Eiche,
und in den abgebrochenen
Tag der Teiche
sinkt, wie auf Fischen stehend,
mein Gefühl."

Ich habe pflichtgemäß den ganzen Tag auf diesen Zeilen herumgekaut, muß aber zugeben, am Ende des Tages immer noch völlig ratlos zu sein.

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Das Rilke-Projekt 05.01.2016
"Schon ehe ich
die Augen auftat am Morgen,
wußte ich's im Gehör;
selbst hier, wo's
immer still ist, war eine andere
Stille zu hören, und ein Vogel
schrieb auf ihr Weiß mit einer
neuen Feder seine Meinung."

Seit dem Morgen schneit es. Schon bald sind Bäume, Büsche und Rasen weiß.
Und die Welt wird still.

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Sonntag, 17. Januar 2016
Das Rilke-Projekt 31.12.2015
Zwanzig Minuten, bevor ich in mein Rilke-Jahr starten will, entdecke ich, daß eine Freundin bei Facebook einen Link geteilt hat, in dem Rilke-Gedichte vertont und bebildert worden sind.
C.G. Jung nennt solche Begebenheiten 'Synchronizitäten'.

Rainer Maria Rilke: Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort/ Die Liebende - Rezitationen Oskar Werner/Zabine Kapfinger auf YouTube.

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Das Rilke-Projekt - Die Idee
365mal Rilke.
Jeden Morgen einen Happen genießen und ihn mitnehmen in meinen Tag.
Den Tag schmecken mit Rilke auf den Lippen.
Es gibt bei den Wüstenvätern eine geistliche Übung, die sich 'Ruminare', also im buchstäblichen Sinne Wiederkäuen nennt. Die Mönche waren angehalten, Texte, in erster Linie natürlich die Heilige Schrift, in der oben beschriebenen Weise zu lesen, um zum einen durch die fortwährende Wiederholung den Sinn der Schriftworte immer tiefer zu erfassen und zum anderen einen Dialog sich entspinnen zu lassen zwischen dem Profanen und dem Heiligen.
Erde und Himmel.
Analog dazu möchte ich die Poesie einladen, mit meinen Tagen zu sprechen.

Textgrundlage:
Rainer Maria Rilke: Ich höre die Stille. 365 Gedanken für die Seele, Leipzig: St. Benno-Verlag o.J.

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