Die goldenen Fäden

Sie ist zweiundneunzig Jahre alt und am Ende ihres Lebens. Eine nicht mehr zu behandelnde Herzschwäche hat sie ins Krankenhaus gebracht. Weil sich überall in ihrem Körper Wasser sammelt, sind Arme und Beine Tag und Nacht gewickelt. Schwellung und Verband verhindern jede zielgerichtete Bewegung der Arme und Hände.
Also bittet sie ihre Tochter, sie zu kämmen sowie Lidschatten und Lippenstift aufzutragen, bevor ihr Mann zu Besuch kommt Sie wollen gemeinsam seinen dreiundneunzigsten Geburtstag feiern.
Als der Besuch gegangen ist, frage ich sie, wie lange sie mit ihrem Mann verheiratet ist.
Vierundsechzig Jahre.

"'Perhaps they were right
in putting love into books,'
he thought quietly.
'Perhaps it could not live
anywhere else.'"

William Faulkner

Du.
Der Kunde an der Supermarktkasse vor mir?
DerTyp auf der Bank im Bahnhof neben mir?
Der Mann im Konzert in der Reihe hinter mir?
Du?

Du.
Überall spüre ich
Dich.
Doch wenn ich mich umsehe -
nur fremde Gesichter.
Wo bist
Du?

Du.
Nur ein Gedanke - Du.
Nur ein Wort.
Du.

Du.
Überall Du.
Nirgends.
Du.

Du.
In jedem Gesicht, das mir begegnet.
Suche ich Dich.
Drehe mich um, wenn ich einen Blick spüre.
Du?

Du.
Wohin ich auch schau.
Überall
Du.

Du.
Aufwachen. Du.
Einkaufen, arbeiten, laufen, lesen. Du.
Einschlafen. Nein. Vorher noch einmal
Du.

Du.