Freitag, 1. Juni 2018
Das Rilke-Projekt 23.03.2016
"Die meisten Menschen halten
die Dinge in der Hand,
um damit irgendeine
Dummheit zu machen (wie
zum Beispiel sich zu kitzeln
mit Pfauenfedern), statt sich
jedes Ding gut anzusehen und
statt jedes um die Schönheit
zu fragen, die es besitzt.
So kommt es, daß die
meisten Menschen gar nicht
wissen, wie schön die Welt
ist und wieviel Pracht in den
kleinsten Dingen, in irgendeiner
Blume, einem Stein,
einer Baumrinde oder einem
Birkenblatt sich offenbart.
Die erwachsenen Menschen, die
Geschäfte und Sorgen haben
und sich mit lauter Kleinigkeiten
quälen, verlieren allmählich ganz
den Blick für diese Reichtümer,
welche die Kinder, wenn sie
aufmerksam und gut sind, bald
bemerken und mit dem ganzen
Herzen lieben.
Und doch wäre es das Schönste,
wenn alle Menschen in dieser
Beziehung immer wie aufmerksame
und gute Kinder bleiben wollten,
einfältig und fromm im Gefühl,
und wenn sie die Fähigkeit nicht
verlieren würden, sich an einem
Birkenblatt oder an der Feder eines
Pfauen oder an der Schwinge einer
Nebelkrähe so innig zu freuen wie an
einem großen Gebirge oder einem
prächtigen Palast.
Das Kleine ist ebensowenig
klein als das Große groß ist. Es
geht eine große Schönheit und ewige Schönheit
durch die ganze Welt, und
diese ist gerecht über den kleinen
und großen Dingen verstreut;
denn es gibt im Wichtigen und
Wesentlichen keine Ungerechtigkeit
auf der ganzen Erde."

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